Mittags trete ich vor die Tür. Am Morgen hat es noch geregnet, jetzt gehe ich unter dunklen Wolken, bewundere wie schon so oft in den letzten Tagen einen enormen Rosenstock an der Pößnecker Straße, der, dicht mit Blüten besetzt, hinter einem Zaun thront. Es ist Samstag, der Ort ist in Bewegung, in den Gärten findet sich die Spur von Tätigkeit, Türen, Garagentore stehen weit offen oder sind angelehnt. Einige verblichene Figuren stehen in den Vorgärten, einen Jäger, gekleidet in kraftlosem Grün, sehe ich gleich vor drei Häusern. Der ramponierte Waidmann hebt eine Hand nach oben, in einem Garten verzweifelt hilflos, die Hand ist leer, keine Lampe darin. Dafür ist sie im nächsten Garten sogar verkabelt, die Stromleitung führt durch ein kleines Kellerfenster ins Haus.
Manchmal stehen Goldfische in Gewässern, ein naturnah angelegter Gartenteich befindet sich in der Nähe eines gemauerten, runden Beckens, das in seiner Art, die Natur menschlich zu bannen und zu kanalisieren eine ganz eigene Ästhetik ausstrahlt.
Der Graben neben der Windmühlenstraße führt kaum noch Wasser, ganz anders muss es noch vor Wochen gewesen sein, die Spuren der Verwüstung, Auswaschungen und der Abrutsch einer Grundstückszufahrt, sind noch zu erkennen – die Schäden werden allmählich behoben. Oben liegt wieder der Duft der Feldkamille über allem.
Vor der Schmiede biege ich ab, laufe die neugebauten Treppen hinauf, dass moderne Geländer glänzt silbern poliert. In der Aussparung zweier Kirchenstützpfeiler steht ein Motorrad. Der verwittere Stein dahinter, zwischen Pflastersteinen sprießendes Gras darunter, die Altstadt ringsum bergen diesen interessanten Kontrast zwischen Kultur- und Maschinentechnik, den man dem Land ganz allgemein gegenüber vielleicht empfindet. (Denn die Natur auf dem Lande ist ja vom Menschen seit Jahrhunderten überformt, ist aus Kulturtechnik entstandene Kulturlandschaft.)
Auf dem Weg zur Burg treffe ich Mitglieder des Raniser Ritterfaschings, die selbst eine Wanderung machen, als Teil einer Dankeschönveranstaltung, für das in der Saison geleistete. Abends gibt es noch einen Ausklung in der Halle von der ZEIN, zu der ich, wie auch zur Wanderung selbst, eingeladen werde. Mitwandern kann ich nicht, meine Eltern kommen kurzfristig zu Besuch, bringen mir eine schöne Topfsonnenblume mit, die sich zum Kaktus auf dem Küchenfensterbrett gesellt. Wir trinken eine Tasse Kaffee, von Gaby gebrüht, dann folgt ein schneller, regnerischer Aufstieg zur Burg. Später setzen sie mich im Gewerbegebiet ab. Der Duft von Holzkohle, von Rostbratwürsten, führt mich zur Halle, wo Kinder spielen, die Menschen beieinander stehen und sich unterhalten.
Ich hole mir ein Bier, später noch eine Roster – im Eingangsbereich, unter dem Rolltor stehend, schaue ich nach draußen auf Wald, Feld und Flur; darüber der dunkel drängende Wolkenhimmel, nach drinnen, auf die Festdekoration, auf die Videoleinwand, die Aufnahmen vom Fasching zeigt. Einige sitzen und essen, andere spielen an einer Tischtennisplatte. Mancher Blick streift mich freundlich-interessiert, ich nicke zurück, ich grüße, sage ein paar Worte, wo ich ein Gesicht wiedererkenne. Lange stehe ich nicht allein, dauert es nur kurz, bis wir uns unterhalten und viele der Anwesenden nach und nach eine Geschichte bekommen.
Es herrscht eine fröhliche, ausgelassene Stimmung. Ich bin nie in Vereinen gewesen, brauche zu viel Zeit allein für mich. In der Jugend war die Regelmäßigkeit solcher Dinge die größte Last für mich. Hier, an diesem Abend, sehe ich eine funktionierende Gemeinschaft, stehe als Gast auf Zeit nicht außerhalb. Schmiedefeuer, Bier und Eierlikör kreisen wohlig in meinem Organismus.
Eindrücke, Erzählungen und Menschen schlagen über mir zusammen, bilden das wogende Sediment, das sich absetzt, aus dem dann etwas aufscheinen kann für das Werk, vielleicht am nächsten Morgen, mit einer Alkoholflause im Kopf oder erst später, viel später.